Montag, 7. Juli 2008

Vive les Schamlippen!

extra auf RTL: "Sie wollte mit der vaginalen Verjüngung bewirken, dass ihre Schamlippen dem New Yorker Standard genügten."

Mit Abstand, bei weitem mit Abstand, der blödeste, oberflächlichste Kommentar, den ich seit Monaten gehört habe.
Wie repräsentativ solch eine Aussage doch für diese Kultur des künstlich erschaffenen Gefühls, der bunt verkleideten Oberflächlichkeit ist!
O tempores! O mores!

Das Statement lässt sich ohne weiteres in die Reihe der bekloppten Aussprüche einreihen, unter denen:
  • Durch die Brust-OP habe ich mehr Selbstbewusstsein.
  • Hemingway? Das ist ne Modezeitschrift, oder?
  • Madonna hat ein neues Bauchpiercing und in China sind zwanzigtausendeinhundertsiebenundfünfzig Menschen gestorben.
die vorderen Plätze belegen.

HD b. N.

Neckar bei Nacht

Dunkler Nebel der Nacht - Schleier der Stille über der schlafenden Stadt.

Die Schönheit des Einfachen

Halb zwölf - ich trank Tee in der Küche. Durch die halb offenen Fenster hörte ich Regentropfen, wie sie in der Dunkelheit auf die Sträucher im Innenhof niederprasselten. Aus den Lautsprechern des Laptops drang klassische Pianomusik. Und plötzlich mischte sich dieses flackrige, surrende Piepsen des Kühlschranks zwischen die Geräuschkulisse draußen und der Musik. Ich schloß die Augen und lauschte diesem unwillkürlichen Zusammenspiel der Töne.

Das Alltägliche ist die Magie - wir nehmen sie nicht wahr, weil wir unsere Gedanken auf anderes verwenden: wann kaufe ich mir einen neuen Kühlschrank, damit das nervige Surren aufhört? Wann hört dieser Regen auf, ich wollte noch spazieren gehen? Wieso schickt sie mir nicht die verdammte Mail, ich warte schon Ewigkeiten darauf!?

Die Schönheit liegt im Einfachen, wir aber übersehen sie und suchen den ästhetischen Ausweg in Glitzer, Glamour und Geflimmer.

Sonntag, 6. Juli 2008

Strömung

Das sind die Taten des vielgewanderten Mannes, seine Leiden und seine Reisen durch die blutigen Meere des Unsinns dieser Epoche, und immer noch wird das Wrack meines Leibes und meiner Seele weitergeschwemmt durch die Strudel unserer Zeit, die Millionen um Millionen verschlungen, Unschuldige und Schuldige zugleich.

- Friedrich Dürrenmatt

Freitag, 4. Juli 2008

Sommer I

Im Hauch des Himmels
schwammen wir
lose
dem Nichts entgegen.

Das Grün der
Wiese
und das Blau
des Windes
schmiegten sich an
unsere feuchten
Lippen,
wie Tau
an glatte Blätter.

Dein spielendes Haar
in meinen glänzenden
Händen,
es roch nach
Violett und Blume.

Luftig und leicht
spürten wir
die Sonne und uns
auf dem Hügel unter
Grashalmen und
Liebesdurst.

© m.s

Zeitlos

Ich möchte zurück zu jenen Minuten auf dem Schulhof, in denen die Vergangenheit von uns abgefallen war, ohne dass die Zukunft schon begonnen hätte. Die Zeit stockte und hielt den Atem an, wie sie es später nie mehr tat ... Oder geht es um den Wunsch - den traumgleichen, pathetischen Wunsch - noch einmal an jenem Punkt meines Lebens zu stehen und eine ganz andere Richtung einschlagen zu können, als diejenige, die aus mir den gemacht hat, der ich nun bin?

- Pascal Mercier

soñar y vivir

„Träumst du?“ Ich hatte sie nicht kommen sehen. Mein Blick war auf die sich spiegelnden Fassaden der Häuser auf dem Fluss gerichtet.

„Ja.“ sagte ich. Sie setzte sich auf die Holzbank.

„Von was?“

„Weiß ich nicht.“

„Von etwas Schönem?“

„Nein.“

„Von etwas Schlechtem?“

„Ich träume.“ Sie setzte zu einer Frage an, ließ ab und folgte meinem Blick.

„Darf ich mitträumen?“ fragte sie nach einer Weile.

„Du willst meine Träume mitträumen?“

„Ja.“

„Und was ist mit deinen Träumen?“

Gegen Mitternacht hatte es geregnet, das Holz der Bank war an einigen Stellen noch feucht. Ich spürte, wie die Nässe am Rücken durch meine Kleidung zog.

„Die können warten.“

„Wollen sie aber nicht.“

„Müssen sie aber.“

Sie rückte näher zu mir und legte ihre Hand auf die feuchte Holzplanke, zwischen uns beide.

„Dürfen sie aber nicht.“

„Wieso?“

„Weil sie nicht warten.“

„Dann verschwinden sie halt, andere werden nachrücken.“

„Andere, aber nicht deine.“

Wind. Die nassen Sträucher berührten meine Zehen. Ihre Hand hatte sich nicht bewegt.

„Träume sind Träume.“

„Deine Träume sind von dir für dich. Andere Träume sind von anderen für dich. Ich träume lieber meine Träume, nicht die der anderen.“

„Lebst du sie nicht gern?“

„Träume sollst du träumen, nicht leben.“

„Was magst du eher?“

„Träumen.“ - Wiegende Häuser, ein Ölgemälde auf schwarzer Leinwand. -

„Wieso?“

„Weil es nicht leben heißt.“ - Wie verharrende Motive in fließendem Schatten. -

„Und Leben heißt demnach nicht träumen?“ fragte sie.

„Nein. Leben heißt den Traum erkennen, ihn als solchen zu belassen und ihn als wirre Idee mit sich tragen. Leben heißt aus dem Träumen heraustreten, sie aber nicht vergessen.“

„Und wenn ich keine Träume habe?“

„Dann ist dein Leben leer.“

„Und wenn ich kein Leben habe?“

„Dann zeigen dir die Träume die unfassbare Vielfalt deines möglichen, verpatzten Lebens.“

Ich hatte das Gefühl, dass sie angestrengt versuchte meinem Blick zu folgen, sich ihrer in der Schwärze aber in eine andere Richtung verirrte.

„Der Traum als Spiegel der Wahrheit?“

„Als Spiegel der möglichen Wahrheit. Dein Leben ist die erste Wahrheit, dein Traum die zweite Wahrheit.“

Ein Regentropfen fiel auf meine Hand. Ich bewegte sie nicht, sondern ließ den Tropfen am Handrücken entlangrinnen.

„Es gibt verschiedene Wahrheiten?“

„Im Traum unendlich viele.“

„Und im Leben?“

„Nur eine, das ist das Schöne am Träumen. Und das Schreckliche. Du siehst, wie dein Leben hätte sein können, dann erwachst du und siehst, wie dein Leben ist.“

„Wieso ist das schlimm?“

„Weil das Verpatzte immer Nostalgie, Sehnsucht hervorruft.“

Ich sah im Augenwinkel, wie ein Regentropfen auf ihren Arm fiel und gemächlich in Schlangenlinien an der Innenseite des Arms entlangglitt und sich unter dem Handballen verlor. Sie hatte Gänsehaut.

„Und wieso ist Träumen schön?“

„Weil das Mögliche dich berauscht, dir Lebensmut schenkt. Es sagt dir, dass dein Leben nur eine Variante ist und du es ändern kannst. Es zeigt dir Wege auf, die im Licht des Lebens verdeckt sind und erst im Schatten der Träume sichtbar werden.

„Ich lebe lieber, da kann ich an den Blumen riechen, bei klarer Nacht in den Sternenhimmel schauen.“

„Im Traum kannst du die Blume sein, kannst durch den Sternenhimmel fliegen.“

Ihre Hand ruhte nach wie vor zwischen uns auf der Holzplanke. Der Wind wurde stärker. Ich vergrub meine Hände unter meinem Pullover.

„Das ist doch nicht das Mögliche! Das ist das Irrsinnige.“

„Im Traum ist alles Wahrheit. Erst wenn du ins Leben trittst, wird es zur Lüge. Weil dein Leben es dir verbietet, so zu sein.“

„Das Leben zerstört den Traum?“

„Ja. Ist zugleich auch sein Nährboden. Im Leben erfährst du, wie du bist. Erst mit dieser Erkenntnis kannst du träumen, wie du sein könntest.“

„Also ist nur Träumen schlecht?“

Weitere Regentropfen prasselten hernieder, sie sprengten die glatte Oberfläche des Flusses auf, der Wind fegte über das aufgewühlte Wasser, die gemalten Häuser zerbrachen in flackernde Scherben.

„Ja, du verlierst dich. Wenn du nur träumst, hast du nachher keine Wahrheit mehr. Du vergehst in der unendlichen Vielfalt der Wahrheiten. Das Leben zeigt dir, wie weit du gehen kannst.“

Sie zog ihre Hand wieder zu sich.

„Muss man träumen?“

„Ja, sonst wird dein Leben konturloses Licht.“

Ich fühlte ihren Blick auf mir. Ich schaute geradeaus.

„Muss man leben?“

„Ja, sonst wird dein Träumen unendlicher Schatten, in dem du dich verlierst.“

Sie suchte mich mit den Augen. Ich die schwindende Zuflucht der Nacht. Ein Donner über uns. Sie erhob sich und ging. Ich blickte ihr nicht nach, sondern wartete auf den ersten Blitz, der die zerbröckelnden Häuser für einen kurzen Moment erhellen würde.

© m.s

soñar con la vida

¿Qué es la vida? Un frenesí.
¿Qué es la vida? Una ilusión, una sombra, una ficción;
y el mayor bien es pequeño;
que toda la vida es sueño, y los sueños, sueños son.

- de la Barca

nachtflug

des menschen überfluss endet in der stille der nacht


Ruhig stöbern und schmökern, das meiste liegt versteckt in einem der Bereiche ... ------------------------------ Über Kommentare freu' ich mich, ein wenig Rückmeldung tut immer gut :)


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Zuletzt aktualisiert: 16. Sep, 23:49

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